AG Starnberg: Sperrung eines Telefonanschlusses

BGB §§ 280 Abs. 2, 286; ZPO § 286


Da Telekommunikationsverbindungen softwaremäßig simuliert werden können, spricht der Beweis des ersten Anscheins auch dann nicht mehr für die Richtigkeit einer plötzlich gegenüber früheren Rechnungen weit überhöhten Telefonrechnung, wenn Hardware-Manipulationen Dritter auszuschließen sind. Insofern nämlich besteht kein Sachverhalt mehr, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist.

AG Starnberg, Urt. v. 14.08.2002 – 2 C 1479/01

Tenor
Die Beklagte hat den Klägern unter der Adresse … den Telefonanschluss mit der Rufnummer … zu den vereinbarten Tarifbedingungen der Beklagten uneingeschränkt wieder zur Verfügung zu stellen.
Die Kläger haben samtverbindlich an die Beklagte 6,76 € nebst 5,5 % Zinsen hieraus seit dem 19.10.2001 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung wegen der Ziff. I gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250 € und wegen der Ziff. III durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
Die Kläger wollen, dass die Beklagte einen gesperrten Telefonanschluss wiederherstellt.
Abs. 1
Auf Grund des Vertrages aus dem Jahr 1993 mit der Beklagten unterhielten die Kläger in ihrer Wohnung einen Telefon-Festnetzanschluss, der nur privat genutzt wurde und Dritten nicht zugänglich war.
Abs. 2
Die Beklagte kündigte diesen Vertrag am 12.06.2001, weil die Kläger die Telefonrechnungen vorn 27.02., 28.03., 27.04. und 28.05.2001 über insgesamt 9.627,77 DM nur mit 320 DM bezahlten. In diesen Rechnungen sind hauptsächlich Entgelte für Verbindungen wegen der Service-Nummer mit der Vorwahl 0190 enthalten.
Abs. 3
Die Kläger sind der Ansicht, dass die Beklagte zur Kündigung und Stilllegung nicht berechtigt gewesen sei. Zur Begründung führen sie an, es gehöre nicht zu ihren Gewohnheiten, die berechneten Service-Nummern in Anspruch zu nehmen, wie sich aus der Höhe der zuvor von der Beklagten gestellten Rechnungen ergebe. Der Grund liege in einer fehlerhaften technischen Erfassung der tatsächlich von ihrem Anschluss aus geführten Telefongespräche.
Abs. 4

Die Kläger stellten deshalb folgenden Antrag:

Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern unter der Adresse … den Telefonanschluss mit der Rufnummer … zu den vereinbarten Tarifbedingungen der Beklagten uneingeschränkt wieder zur Verfügung zu stellen.

Abs. 5

Hilfsweise beantragten sie:

Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern zu den Tarifbedingungen der Beklagten einen Festnetzanschluss unter der Adresse … zur Verfügung zu stellen.

Abs. 6

Die Beklagte stellte den Antrag,

die Klage abzuweisen.

Abs. 7
Sie trägt vor, die Einzelverbindungsdaten belegten deutlich, dass die Nummern 0190 vom Anschluss der Kläger aus angewählt worden seien, zumal sie in einem engen zeitlichen Zusammenhang zu Inlandsverbindungen stünden. Überprüfungen von ihr hätten ergeben, dass eine Manipulation durch Dritte nicht vorgelegen hätte. Auch sei ein Plausibilitätstest durchgeführt worden.
Abs. 8

Im Wege der Widerklage stellte die Beklagte folgenden Antrag:

Die Kläger und Widerbeklagten werden verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 854,88 DM nebst 5,5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit sowie 104,88 DM vorgerichtliche Kosten zu zahlen.

Abs. 9
Die Kläger und Widerbeklagten beantragen insoweit Klageabweisung.
Abs. 10
Nach der Darstellung der Beklagten handelt es sich hierbei um nicht bezahlte Forderungen aus den oben genannten Rechnungen sowie aus der Rechnung vom 22.06.2001.
Abs. 11
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Es wurde Beweis erhoben durch Erholung eines schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen S.
Abs. 12
Entscheidungsgründe
I.  Die zulässige Klage ist begründet, während die Widerklage weit gehend abzuweisen war.
Abs. 13
1.  Die Beklagte ist verpflichtet, den Klägern den … Telefonanschluss wieder zur Verfügung zu stellen, da die fristlose Kündigung unwirksam war und die Kläger einen Anspruch auf Vertragserfüllung haben. Dass die ursprüngliche Telefonnummer nicht mehr zur Verfügung gestellt werden kann, wird von der Beklagten nicht behauptet. Auch wurde nicht vorgetragen, dass der Vertrag mit den Klägern durch eine ordentliche Kündigung aufgelöst wurde.
Abs. 14
a.  Der Beklagten stand das Recht, den Vertrag gemäß der Ziff. 7.2 a der allgemeinen Geschäftsbedingungen fristlos zu kündigen, nicht zu.
Abs. 15
Die Beklagte hätte dartun und auch beweisen müssen, dass die Kläger mit der Bezahlung von zumindest zwei der vier Rechnungen bzw. eines nicht unerheblichen Teils davon in Verzug waren. Dieser Beweis ist nicht zweifelsfrei erbracht worden.
Abs. 16
Der Verzug setzt voraus, dass sie die Rechnungen einfordern durfte, weil die Kläger entweder die Gespräche selbst führten oder gem. der Ziff. 4 der allgemeinen Geschäftsbedingungen [die geforderten Entgelte] durch eine befugte oder unbefugte Benutzung des Anschlusses durch Dritte entstanden sind. Soweit die Entgelte wegen der 0190-Nummern berechnet wurden, ist der Beweis nicht erbracht worden. Insoweit ist das Gericht sogar überzeugt, dass die Angaben der Kläger richtig sind.
Abs. 17
Aus den vorgelegten Rechnungen für das Jahr 2000 ergibt sich lediglich, dass sie in den Monaten April und Juli wegen der 0190-Nummern nur wenige Einheiten und für März 204 Einheiten verbrauchten. Es gehörte deshalb nicht zu ihren Telefongewohnheiten, diese Nummern pro Monat in dem Umfang anzurufen, wie dies tatsächlich ab dem Jahr 2001 berechnet wurde. Da unstreitig Dritte zu dem Telefonanschluss keinen Zugang hatten, hätte eine ungewöhnliche Änderung des Telefonverhaltens der Kläger eintreten müssen. Dies widerspricht jeglicher Lebenserfahrung. Hinzu kommt, dass die Kläger mit Schreiben vom 02.04.2001 die Rechnungen vom 27.02. und 28.03.2001 über 1.790,74 DM und 4.475,74 DM beanstandeten und auf einen "Computerfehler" hinwiesen. Auch widerriefen sie die Einzugsermächtigung am 17.04.2001. Gleichwohl sollen sie danach, wie sich vor allem aus der Rechnung vom 27.04.2001 und aus den vorgelegten Einzelverbindungsnachweisen für April ergibt, fast täglich und an einzelnen Tagen sogar zahlreiche Anrufe mit den genannten Nummern getätigt haben und dafür ein Entgelt von über  2.000 DM ausgelöst haben. Dies wäre nicht nur widersprüchlich zu ihrem gezeigten Verhalten, sondern auch kriminell, was den Klägern nicht zuzutrauen ist.
Abs. 18
Dieser Beweiswürdigung steht nicht entgegen, dass der Sachverständige S bei der Überprüfung, und hier in Übereinstimmung mit der Einlassung der Beklagten, eine Manipulation Dritter nicht feststellen konnte, vor allem nicht einen "Dialer" (Wählapparat), der selbstständig Telefonnummern anwählen kann.
Abs. 19
Es verbleibt jedoch die nicht nur theoretische Möglichkeit eines Telefonbetrugs in der Weise, dass Leitungen nicht "angezapft" zu werden brauchen, um die genannten Nummern auf einer Telefonrechnung erscheinen zu lassen. Dies kann dadurch geschehen, dass im Abrechnungssystem Verbindungen softwaremäßig simuliert werden können, also nicht getätigte Verbindungen abgerechnet werden. Schon deshalb darf wegen der offenbar neuen oder neu bekannten Betrugsmöglichkeit der Beweis des ersten Anscheins dann nicht mehr angewandt werden, wenn wie hier Hardware-Manipulationen Dritter auszuschließen sind. Die insoweit ergangene Rechtsprechung ist deshalb überholt. Wenn Verbindungen softwaremäßig simuliert werden können, dann spricht der Anscheinsbeweis nicht mehr für die Richtigkeit einer plötzlich gegenüber früheren Rechnungen weit überhöhten Telefonrechnung. Es besteht kein Sachverhalt mehr, der dann nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist, also darauf, dass die Gespräche von dem Anschluss aus geführt worden sein mussten.
Abs. 20
Wegen dieser bei der Beklagten verbliebenen Beweislast wurde ein Zeuge angeboten, der aussagen soll, dass die vom Sachverständigen genannten Tests zur Überprüfung dieser strafbaren Handlung zumindest in einer Richtung durchgeführt wurden. Dieser Zeuge war nicht zu vernehmen. Ob dadurch aus Gründen des Anscheinsbeweises die Beweislast zu Lasten des Kunden der Beklagten überhaupt umgekehrt werden kann, steht nicht fest. Dies wäre nur dann der Fall, wenn durch diese Plausibilitätstests in jedem Fall der oben genannte Betrug aufgedeckt werden kann. Durch die Vernehmung eines Zeugen wird dies nicht zu klären sein.
Abs. 21
Dagegen spricht, was nicht plausibel ist, beispielhaft die Abrechnung für den 15.02. gemäß Anlage B 1. Gemäß den Einzelnachweisen in den Ziff. 76 und 77 sollen bei denselben Zugangskennzahlen einmal für ein Gespräch von 8 Minuten und 20 Sekunden 28,0888 DM und für ein Gespräch von 4 Minuten und 9 Sekunden nur 1,753 DM angefallen sein. Wegen der Gespräche in den Ziff. 79-82 sollen jeweils Gespräche im Wert von 51,7241 DM geführt worden sein, obgleich bei derselben Zugangskennzahl die Gesprächsdauer von 4 Minuten und 22 Sekunden, 14 Minuten und 35 Sekunden, 5 Minuten und 2 Sekunden und 9 Minuten und 7 Sekunden genannt ist. Plausibel ist jedoch nur, dass dann bei demselben Endbetrag auch dieselben Zeiten aufgezeichnet worden wären. Auch ist nicht plausibel, wenn z. B. für ein Gespräch von 4 Minuten und 22 Sekunden zu dem von der Beklagten genannten Tarif eine Gebühr von 51,7241 DM entstanden sein soll. Die Zugangskennzahl 01901 wird mit 0,1042 DM je angefallener sechs Sekunden berechnet. Der Preis lässt sich daher nicht nachvollziehen.
Abs. 22
b.  Die fristlose Kündigung lässt sich auch nicht nach der Ziff. 7.2 b der allgemeinen Geschäftsbedingungen begründen, da die Kläger nicht in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Monate erstreckte, mit der Bezahlung der Preise in Höhe eines Betrages, der den monatlichen Grundpreis für zwei Monate erreicht, in Verzug waren.
Abs. 23
Selbst wenn die Kläger nach Abzug der geleisteten 320 DM und nach Abzug der Entgelte für die 0190-Nummern mit einem Betrag in Höhe von zwei Grundpreisen in Rückstand sein sollten, wäre ein Verzug schon deshalb nicht eingetreten, weil die Beklagte aus den oben genannten Gründen einen weit übersetzten Betrag geltend machte und die Kläger den wirklich geschuldeten Betrag nicht zuverlässig feststellen konnten (vgl. BGH, NJW 1991, 1288).
Abs. 24
2.  Die Widerklage ist lediglich in Höhe von 6,76 € nebst den zugesprochenen Zinsen begründet.
Abs. 25
a.  Der geltend gemachte Betrag aus der Rechnung vom 22.06.2001 über 13,22 DM ist unstreitig. Dieser wurde auch nicht bezahlt. Die zugesprochenen Zinsen rechtfertigen sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.
Abs. 26
b.  Im Übrigen ist die Widerklage nicht gerechtfertigt.
Abs. 27
aa.  Die Forderung von 841,66 DM wird nach Abzug der geleisteten 320 DM für die vier Rechnungen vom 27.02.-28.05.2001 verlangt. Dass der Beklagten eine Forderung über 320 DM hinaus und dann in Höhe von 841,66 DM zusteht, hätte substanziiert begründet werden müssen. Die Vorlage von Rechnungen und dazu von überhöhten Rechnungen in Verbindung mit der von der Beklagten vorgenommenen Aufteilung laut Anlage B 6 genügt nicht. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, eigene Entgelte der Beklagten aus den Rechnungen auszusortieren, um dann in Verbindung mit den vorgelegten Preislisten zu berechnen, ob und welche Ansprüche noch bestehen.
Abs. 28
bb.  Auch die vorgerichtlichen Kosten von 104,88 DM sind weder ganz noch teilweise begründet.
Abs. 29
Aus den oben genannten Gründen war die Sperre des Telekommunikationsanschlusses nicht berechtigt, sodass die Kläger die dafür berechneten Kosten von 15 DM nicht zu bezahlen haben. Gleiches gilt für die Kosten von je 14,98 DM für die Rücklastschriften und für die sechs Abbuchungsversuche.
Abs. 30
II.  Kosten, vorläufige Vollstreckbarkeit und Abwendungsbefugnis: §§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Abs. 31

CR 2003, 203 m. Anm. R. Winter   |   NJW 2002, 3714
 
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Literatur: Allgaier, Zum Anscheinsbeweis bei überhöhten Telefonrechnungen und zur Rechtsnatur des Telefondienstvertrages, RDV 2002, 53

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